Krankheitsgewinn & Pseudowissenschaft

Das  Konstrukt des "Krankheitsgewinns" hält einer kritischen Prüfung nicht stand

🗓️ 27.7.2023

🔗 https://bit.ly/krankheitsgewinn


Auf einem Sandstrand stehen ein Strandkorb und ein Rollstuhl

Die Hypothese des "Krankheitsgewinns" hat in der Praxis schädliche Folgen für die Patienten. Zudem ist diese Hypothese bereits auf der theoretisch-wissenschaftlichen Ebene unhaltbar. Letzteres hat einen einfachen Grund:

 

ALLE möglichen empirischen Zustände sind mit dieser Hypothese vereinbar. Damit ist sie nicht überprüfbar, nicht wissenschaftlich und nicht seriös diagnostisch anwendbar. 

 

Wissenschaftliche Hypothesen treffen Aussagen über Zusammenhänge von Ereignissen, Phänomenen und Zuständen. Ein schematisches Beispiel:

 

"Aus Zustand A folgt unter der Bedingung B der Zustand C."

 

Neben dieser positiven Aussage enthält diese Hypothese einen Ausschluss: Es folgt der Zustand C und eben NICHT die Zustände D, E oder F. Dies macht die Hypothese zu einer widerlegbaren und damit wissenschaftlichen Hypothese.

 

Treten nun empirisch – z.B. im Experiment – die Zustände D, E oder F ein, ist die Hypothese widerlegt. Schließt eine Hypothese nichts aus, kann sie dagegen nicht widerlegt werden. Sie ist nicht wissenschaftlich. 

 

Genau diese Nicht-Widerlegbarkeit ist jedoch bei der Hypothese des "Krankheitsgewinns" gegeben. Die Hypothese behauptet vereinfacht:

 

"Erkrankt ein Patient, so folgt für ihn daraus (auch) ein Gewinn."

 

Diese Aussage ist offensichtlich mit ALLEN möglichen empirischen Zuständen vereinbar. Sie schließt nichts aus. Hierzu drei Beispiele:

 

1) Ein Patient krümmt sich mit starken Schmerzen im Bett. Eine Pflegerin gibt ihm ein Schmerzmittel.

 

➡️ "Er bekommt Zuwendung. Das ist sein Krankheitsgewinn!"

 

2) Eine Patientin wird seit ihrer Erkrankung von ihrem Partner gepflegt.

 

➡️ "Nun hat sie ihren Partner fest an sich gebunden. Das ist ihr Krankheitsgewinn!" 

 

3) Eine Patientin wird infolge ihrer Erkrankung von ihrem Partner verlassen.

 

➡️ "Nun ist sie ihren Partner endlich losgeworden. Das ist ihr Krankheitsgewinn!"

 

Diese Beispiele ließen sich zahllos fortsetzen, weil im Rahmen einer nichts ausschließenden Hypothese ALLES als "Gewinn" und damit als Bestätigung der Hypothese gedeutet werden kann. Sie ist damit eine Leerformel, eine Tautologie. 

 

Die Hypothese ist zudem diagnostisch wertlos, weil aus einem beliebigen Befund nur eine beliebige Therapie abgeleitet werden kann. Eine Diagnose, aus der Beliebiges folgt, ist ein Instrument der Willkür.

 

Aufgrund der Schädlichkeit dieses Konstrukts für die Patienten sowie seiner wissenschaftlichen Unhaltbarkeit ist es an der Zeit, die Hypothese des "Krankheitsgewinns" fallenzulassen. Zum "Gewinn" der Patienten und der intellektuellen Redlichkeit in der Medizin!