“Medical Gaslighting” oder “Feminizid”?

Aufschlag für eine feministische Begriffsdiskussion

3.12.2025 | Autorin: Mirja



Als Reaktion auf einen journalistischen Artikel über einen Fall von Medical Gaslighting mit sich abzeichnender Todesfolge[1] hat Kim Posster[2] zuletzt darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff “Feminizid” unter anderem in Lateinamerika und ausgehend von María Marcela Lagarde y de los Ríos[3] sehr breit diskutiert wird, da auch politische und institutionelle Strukturen zum erhöhten Sterben von Frauen beitragen können, Posster beschreibt Medical Gaslighting vor diesem Hintergrund als “feminizidal”.

 

“Medical Gaslighting”, also das Invalidieren von Krankheitserleben, vor allem bei Frauen, aber auch das Nicht-Ernstnehmen und Psychologisieren feminisierter Symptome und Krankheiten, kann tödliche Auswirkungen haben. Es wird jedoch sowohl in der öffentlichen Kommunikation als auch im wissenschaftlichen Diskurs meist auf psychische Folgen oder verspätete Diagnosen oder Therapien reduziert, als befänden diese sich in einem gesellschaftlich und medizinisch entpolitisierten Raum: Strukturelle medizinische Probleme werden – wie oft in Krankheitsdiskursen – primär individualisiert und gemäß ableistischer Muster auf persönliche “Schicksale” zurückgeführt.

 

Dabei ist es laut Posster wichtig, zwischen tödlicher Politik und der Politik des Tötens zu unterscheiden: Fehlende medizinische Versorgung kann tödlich sein, unterscheidet sich aber von Formen des Femizids wie Mord oder dem selektiven Abtreiben “weiblicher” Föten. Auch geht es meiner Meinung nach nicht darum, Begrifflichkeiten inflationär zu verwenden, sondern darum, die bisherige Unsichtbarkeit struktureller Komponenten aufzuzeigen: Medical Gaslighting und seine Auswirkungen werden i.d.R. nicht als feministisches Anliegen wahrgenommen. Die systematische Verharmlosung feminisierten Krankheitserlebens sowie das Vorenthalten medizinischer Versorgung und das Entpriorisieren biomedizinischer Forschung bei feminisierten Krankheiten gelten nicht als politisch, während der Medizin und auch Ärzt*innen selbst gesellschaftlich ein Vertrauensvorschuss auferlegt wird – eine Fehleinschätzung, die wir eigentlich aus der Interaktion mit anderen, durch Machtasymmetrien geprägten Institutionen wie der Polizei besser begreifen müssten.

 

Die Öffnung der Begriffsdiskussion könnte dazu beitragen, dass Medical Gaslighting schließlich doch noch als politisches und insbesondere feministisches Thema verankert wird, denn Gesundheitsungerechtigkeit ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches und strukturelles Problem. Es handelt sich nicht um persönliche Fehldiagnosen, sondern um die Frage, wieso wir körperliche und psychische Schädigungen mit potenziellen Todesfolgen durch ausbleibende oder falsche Behandlungen akzeptieren, wenn sie strukturell in einem System stattfinden, das eigentlich helfen soll. Die Medizin verzeichnet eine gut beschriebene Historie von Sexismus, Misogynie und Gewalt gegen Frauen; es ist dringend geboten, diese in journalistischen Beiträgen und wissenschaftlichen wie politischen Analysen zu berücksichtigen.

 

Disclaimer

 

Medical Gaslighting betrifft neben Frauen auch besonders häufig andere marginalisierte Geschlechter und Gruppen. Der hier gewählte geschlechtsbezogene Schwerpunkt auf politische und institutionelle Strukturen, die sich auf das erhöhte Sterben von Frauen auswirken, ist ein analytischer. Er hängt auch mit den Psychologisierungs- und Entwertungstendenzen weiblich konnotierter Krankheit zusammen, von denen in der Folge sogar endo cis Männer betroffen sein können, wenn sie wie bei ME/CFS mit einer solchen Krankheit assoziiert werden. Ausgangspunkt bleibt jedoch die männliche Vormachtstellung in der Medizin.



Anhang


[1] Magdalena Ptösch (2025): Betroffene von Medical Gaslighting: “Meine Beschwerden wurden jahrelang als psychisch abgetan”. In: Der Standard, 29.11.2025.

[2] https://bsky.app/profile/kposster.bsky.social, https://www.instagram.com/kposster/

[3] María Marcela Lagarde y de los Ríos (2023): Anthropologie, Feminismus und Politik: Feminizidale Gewalt und die Menschenrechte von Frauen. In: Merle Dyroff, Sabine Maier, Marlene Pardeller, Alex Wischnewski (Hrsg.): Feminizide. Grundlagentexte und Analysen aus Lateinamerika. Verlag Barbara Budrich GmbH, Opladen, Berlin und Toronto, S. 83–112.