Eine Gesellschaft entsteht im Ganzen

Die Verabsolutierung und Sakralisierung von Erwerbsarbeit ist falsch

🗓️ 27.1.2024



Eine Person in einer rosafarbenen Jacke blickt auf eine mit spiegelnden Mosaik-Kacheln besetzte Wand.

"Als Sozialdemokrat neige ich zu einer lutherischen Sichtweise: Letztendlich ist es eine sittliche Pflicht, zu arbeiten. Unsere Gesellschaft ist auf Arbeit aufgebaut, auf dem Respekt vor der Arbeit und denen, die sie leisten. [...] Gleichzeitig helfen wir denjenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, besser durchzukommen. Die Perspektive ist dabei aber immer: eine neue Arbeit zu finden."

Olaf Scholz (Quelle, Stand 27.1.2024)

 

Eine Gesellschaft ist wie ein Mosaik. Erst in der Kombination ihrer Einzelteile ergibt sie ein zusammenhängendes Ganzes. Sichtweisen, die ein Einzelteil wie Erwerbsarbeit zum Fundament erklären, sind ignorant gegenüber den unzähligen Dingen, in die dieses Einzelteil eingebettet ist.


Die Verabsolutierung und Sakralisierung der Erwerbsarbeit ist soziologisch naiv, kulturell ruinös und moralisch diffamierend. Sie entwertet alle Menschen, die jenseits von Erwerbsarbeit auf ihre Weise dazu beitragen, dass eine Gesellschaft eine Gesellschaft ist.


Das betrifft Menschen, die ohne Geld all jene Leistungen erbringen, die ein Zusammenleben überhaupt ermöglichen. Und es betrifft Menschen, die im orthodoxen Verständnis nichts "leisten", aber ebenso als unverzichtbare Einzelteile das Mosaik erst zu einem Bild werden lassen – etwa Kinder und Behinderte.


Eine Gesellschaft, in der Erwerbsarbeit maximiert wird, ist kein funktionsfähiges, geschweige denn ein wünschenswertes Gebilde. Denn diese Maximierung kann nur auf Kosten anderer Dinge erfolgen, die eine Gesellschaft zusammenhalten und lebenswert machen. Eine solche Gesellschaft würde sterben.


Es ist eigentlich sehr einfach: Erwerbsarbeit ist EIN wichtiger Bestandteil der Gesellschaft, der mit allen anderen wichtigen Bestandteilen verwoben ist. Der Sinn entsteht im Ganzen. Von einem Bundeskanzler darf man erwarten, diesen Sachverhalt zu erfassen und ihm politisch Rechnung zu tragen.